Bringt das Urbane Gebiet mehr Gewerbe in die Stadt?

Portraitfoto Malte Arndt
Die Baunutzungsverordnung (BauNVO) in ihren Grundlagen ist 1962 entstanden. Sie definiert die verschiedenen Baugebietskategorien und ihre zulässigen Nutzungen. Dabei folgt sie dem Leitbild der entmischten, nutzungsgetrennten Stadt:

So sollte nach damaligem Verständnis ein Nebeneinander unverträglicher Nutzungen verhindert und zu gesunden Lebensverhältnissen beigetragen werden. Damit steht die BauNVO jedoch konträr zu vielen Entwicklungen, die zuvor stattgefunden haben – und vor allem zu den aktuellen Anforderungen an modernen Städtebau. Malte Arndt, wissenschaftlicher Referent am Institut für Städtebau DASL e. V., kritisiert, dass es in der gegenwärtigen Diskussion um das Urbane Gebiet vorrangig um Wohnnutzung geht.

Ein Blick zurück: Die historisch gewachsenen und vom Krieg verschont gebliebenen Innenstädte, zum Beispiel Teile Berlin-Kreuzbergs oder der Münchner Innenstadt, sind Ausdruck eines stark verdichteten und durchmischten Städtebaus*. Dieser war gerade nicht auf Funktionstrennung angelegt. Zwar wünscht sich niemand mehr die damalige Durchmischung von Wohnquartieren mit produzierendem, stark emittierendem Gewerbe bei hoher baulicher Dichte. Inzwischen aber haben sich Gewerbebetriebe und Produktionsweisen verändert. Dadurch erfreuen sich diese städtebaulichen Strukturen heute großer Beliebtheit, da sie mittlerweile ein lebendiges Miteinander von Wohnen und Gewerbe ermöglichen und die oft gewünschte Urbanität schaffen.

Mit der Leipzig-Charta von 2007 wurde erstmals versucht, das Leitbild der europäischen Stadt in das 21. Jahrhundert zu übertragen. Damit war der Anspruch verbunden, Wohnen, Arbeiten und Freizeit in den Städten wieder stärker miteinander zu vermischen. Diesem Anspruch begegnet der Gesetzgeber auch durch die jüngste BauGB/BauNVO-Novelle. Ziel ist es, den Kommunen in stark verdichteten städtischen Gebieten mehr Flexibilität einzuräumen, um den vielfältigen Anforderungen an Umweltverträglichkeit und Klimaschutz sowie den Ansprüchen verschiedener Nutzergruppen gerecht zu werden*. Zu diesem Zweck wurde das „Urbane Gebiet“ in den Kanon der BauNVO aufgenommen. Die Novelle bildet somit erstmals ein leichtes Abrücken vom bisherigen Dogma der BauNVO, einen weitgehend entmischten Städtebau zu fördern.

Das Urbane Gebiet – was heißt das eigentlich genau?

Nach § 6a Abs. 1 BauNVO dienen Urbane Gebiete dem Wohnen sowie der Unterbringung von Gewerbebetrieben, die das Wohnen nicht wesentlich stören. Die Nutzungsmischung muss nicht gleichgewichtig sein. In Abs. 2 wird näher definiert, was unter zulässigen Gewerbebetrieben zu verstehen ist: Geschäfts- und Bürogebäude, Einzelhandelsbetriebe, gastronomische Einrichtungen, Beherbergungsbetriebe und sonstige Gewerbebetriebe – alles unter der Maßgabe, dass das Wohnen nicht wesentlich gestört wird. In Ausnahmefällen können auch diverse Formen von Vergnügungsstätten und Tankstellen zulässig sein (Abs. 3).

Das Urbane Gebiet erlaubt Nutzungen, die das Wohnen nicht wesentlich stören.

Ob ein Gewerbebetrieb das Wohnen wesentlich stört oder nicht, hängt vor allem von seinen Emissionen ab. Im Fall innerstädtischer Gewerbeflächen kommt es zumeist auf die Lärmemissionen an, während Gerüche, Stäube und Ähnliches eher in Randlagen eine Rolle spielen. In der TA Lärm hat das MU Immissionsrichtwerte von 63 dB(A) tagsüber und 45 dB(A) nachts zugewiesen bekommen. Somit ist tagsüber gegenüber Misch- oder Kerngebieten eine höhere Lärmbelastung möglich, nachts müssen hingegen die gleichen Standards eingehalten werden, die aus Mischgebieten bekannt sind.

Praktische Dominanz des Wohnens

Der Gedanke, der dieser Novelle zugrunde liegt, ist begrüßenswert. Allein: „Grau ist alle Theorie“, wie wir von Goethe wissen. Themen wie Urbanität, guter Städtebau und andere Herausforderungen an die Stadtplanung werden derzeit einseitig bezogen auf Wohnen diskutiert. So kursieren zum Beispiel Ideen, die Leipzig-Charta hinsichtlich möglicher regionaler Wohnungsbaukooperationen weiterzuentwickeln. Die kompakte Stadt wird insofern wohl vor allem als kompakte Wohnstadt verstanden. Auch aktuelle Entwicklungen untermauern die Dominanz des Themas Wohnen – so sind beispielsweise in München Flächen von 160 ha dem Gewerbe entzogen und dem Wohnen zugeführt worden*.

Gerade mit den Zielen der kompakten Stadt ist jedoch auch die Ansiedlung von Gewerbe in verdichteten Räumen verbunden: Der Flächenverbrauch soll reduziert, Pendlerverkehr vermieden und integrierte Stadtviertel sollen geschaffen werden. Welchen Beitrag kann das neu eingeführte Urbane Gebiet (MU) in der vorliegenden Form leisten, damit durchmischte und bis zu einem gewissen Grad gewerblich geprägte Innenstädte geplant werden können?

Stärkung des Gewerbes möglich

Weil die Nutzungsmischung nicht gleichgewichtig sein muss, braucht es im Gegensatz zum Mischgebiet nicht mehr 50 Prozent Gewerbe, um von höheren Immissionsrichtwerten zu profitieren, sondern nur noch 20 bis 30 Prozent. Es ist davon auszugehen, dass Urbane Gebiete wegen ihrer größeren Flexibilität künftig vor allem dort geplant werden, wo bislang Mischgebiete zum Einsatz kamen. Somit wird innerstädtischem Gewerbe faktisch weiterhin Flächen entzogen.

Zwar bietet das Urbane Gebiet auch Chancen, innerstädtische Gewerbestandorte zu stärken. Theoretisch wäre auch ein von Gewerbe dominiertes Urbanes Gebiet zulässig. Das MU könnte zudem flexibilisierend wirken, da in der Genehmigungspraxis ein ansiedlungswilliger Betrieb nicht mehr unter dem Hinweis abgewiesen werden muss, die gleichgewichtige Nutzungsmischung sei zu wahren. Doch entspricht das nicht der bisher geäußerten Herangehensweise vieler Kommunen.

Ein Knackpunkt des Urbanen Gebiets in seiner praktischen Anwendung ist außerdem der Lärmschutz: Die Immissionswerte am Tag liegen gegenüber Misch- und Kerngebieten höher, Wohngebäude dürfen also nun höheren Lärmbelastungen ausgesetzt sein. Damit können jetzt auch Flächen erschlossen werden, die bislang nicht für das Wohnen nutzbar waren. Für die Nachtzeit von 22:00 bis 6:00 Uhr gelten allerdings die aus Misch- und Kerngebieten bekannten 45 dB(A) – hier wäre aus gewerblicher Sicht eine Heraufsetzung der Richtwerte wünschenswert gewesen, wie sie zum Beispiel in der 16. BImschV mit 54 dB(A) bestehen*. Praktisch wird es also vor allem an den Gewerbebetrieben liegen, die niedrigen Nachtwerte einzuhalten, da sie zusammen mit dem Verkehr die vorrangigen Emittenten sind.

Fazit

Diskutiert wird das Urbane Gebiet bislang vor allem in Richtung der überwiegenden Wohnnutzung, womit ein weiterer Rückzug innerstädtischen Gewerbes zu befürchten ist. Zu wünschen wäre, dass auch das Potenzial für gewerblich geprägte urbane Gebiete erkannt und umgesetzt wird. Grundsätzlich ergeben sich durch das Urbane Gebiet für die Ansiedlung innerstädtischen Gewerbes neue Chancen, da ein „Mehr“ an gewerblichen Emissionen zulässig ist, ohne die Wohnnutzung wesentlich zu stören.

*Dazu kritisch z. B. Autorenkollektiv Planungskultur, PlanerIn 2/2017, S. 54.
** Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (Hrsg.): Inhalte und Ziele der Leipzig-Charta, www.bmub.bund.de/themen/stadt-wohnen/stadtentwicklung/kurzinfo/inhalte-und-ziele-der-leipzig-charta/, Zugriff am 22.08.2017.
*** BT-Drucks. 18/10942, S. 29.
**** Merk, PlanerIn 4/2017, S. 8.
Merk, PlanerIn 4/2017, S. 6.
***** Battis/Mitschang/Reidt, NVwZ 2017, 817, 824.
****** So auch Battis/Mitschang/Reidt, NVwZ 2017, 817, 824 f.