Kräne in Berlin bei Sonnenaufgang

Handelsblatt-Interview zum Wohngipfel

Erschienen am 21. September 2018 auf www.handelsblatt.com

Portraitfoto Silke Kersting, Handelsblatt
Wichtiges Treffen im Kanzleramt: Hinter verschlossenen Türen berät Bundeskanzlerin Angela Merkel am heutigen Freitag mit ihren Ministern Horst Seehofer (Bau), Olaf Scholz (Finanzen), Peter Altmaier (Wirtschaft) und Katarina Barley (Justiz) sowie Vertretern der Länder und Kommunen über Wege aus der Wohnungsmisere.

Auch die Wohnungs- und Immobilienwirtschaft ist geladen. Aurelis-Chef Joachim Wieland ist skeptisch, dass die Regierung Erfolg bei ihrem Ziel haben wird, bis Ende der Legislaturperiode 1,5 Millionen neue Wohnungen zu schaffen.

Herr Wieland, die Bundesregierung unternimmt einen neuen Anlauf für eine Wohnraumoffensive – hat die Koalition die Kraft dazu?

Die Kraft sicherlich. Die Frage ist, ob die Regierung der Wohnungs- und Baupolitik auch nach dem Wohngipfel die notwendige Bedeutung zukommen lässt. Vor der Bundestagswahl stand die Schaffung eines eigenständigen Bauministeriums im Raum – ein solches Ressort wäre der Bedeutung des Wohnungsbaus angesichts der angespannten Lage gerecht geworden. Denn Vorschläge und Ansätze, wie der Wohnungsbau angekurbelt werden kann, gibt es genug – es geht nun darum, diese auch umzusetzen.

Besonders erfolgreich ist die Regierung bislang offensichtlich nicht. Die Baugenehmigungszahlen sind im Moment eher rückläufig.

Bei den Baugenehmigungen hatten wir bereits 2016 einen Höhepunkt, 2017 gab es hingegen mit 348.128 genehmigten Wohnungen einen Rückgang um 7,3 Prozent. Es liegt nahe, dass die Fertigstellungszahlen entsprechend zurückgehen werden. Waren es 2017 noch rund 285.000 Neubauwohnungen, muss man in den kommenden Jahren mit weniger rechnen.

Dann werden die geplanten 1,5 Millionen Wohnungen in dieser Legislaturperiode also nicht erreicht?

Wenn das so weitergeht, ist klar: Bis zum Ende der Legislaturperiode wird das Ziel von 1,5 Millionen Wohnung nicht zu schaffen sein. Insbesondere nicht mit den jetzigen Maßnahmen allein – Mietpreisbremse, Sonder-Afa, Baukindergeld. Wir brauchen jetzt ganz klare Maßnahmen auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene zur Beschleunigung und Vereinfachung des Bauens statt weiterer Reglementierungen. Nur so können wir an das Ziel von 1,5 Millionen Wohnungen noch herankommen.

Hauptknackpunkt ist knappes Bauland. Wie kann mehr Fläche aktiviert werden, vor allem in den Städten?

Im fehlenden Bauland liegt in der Tat die Krux. Dabei gilt es zu beachten, dass die Entwicklung von Bauland inzwischen ein hochkomplexes Thema geworden ist. Das dauert mindestens fünf Jahre, in der Regel sogar bis zu zehn Jahre, bis aus der Idee, aus einer bestimmten Fläche Bauland zu schaffen, tatsächlich Bauland wird. Deswegen ist es wichtig, dass die unterschiedlichen Anforderungen und Hürden von der Politik besser aufeinander abgestimmt werden. Naturschutz, Partizipation, energetische Anforderungen – es gibt auf dem Weg zum Bauland ganz unterschiedliche Hürden, da muss die Politik konsolidieren. Nicht zuletzt beim Thema Baurecht, das in großen Teilen veraltet ist und an die Lebenswirklichkeit des Jahres 2018 angepasst werden muss. Sonst kommt es vor lauter Gestaltungsbedürfnis zum Stillstand.

Was ist mit den Bauträgern? Die müssen ja schon planen, bevor es ein Baurecht gibt. Ziehen die sich aus dem Markt zurück?

In der Tat ist für Bauträger die Flächenaktivierung ein Risiko: Zu Beginn des Prozesses kann man gar nicht abschätzen, ob die Flächenaktivierung am Ende erfolgreich sein wird. Hier braucht die Wohnungswirtschaft mehr Planungssicherheit von Seiten der Kommunen. Und dann sollen häufig bei der Baulandaktivierung von den Bauträgern auch Projekte mitfinanziert werden, die nichts mit den geplanten Projekten zu tun haben. Das erschwert und verzögert die Verhandlungen übermäßig und verteuert im Ergebnis den Wohnraum.

Sie haben deutschlandweit Grundstücke von der Bahn genutzt. Gibt es hier noch Potenzial?

Das Portfolio, das wir damals von der Deutschen Bahn übernommen haben, umfasste rund 30,4 Millionen Quadratmeter. Diese Flächen haben wir nahezu vollständig entwickelt, verkauft und teilweise auch selbst bebaut. Sie stehen nun nicht mehr als Reserven zur Verfügung. Vor allem bei der öffentlichen Hand besteht aber noch sehr viel Potenzial. Bund, Länder und Kommunen verfügen über zahlreiche Grundstücke, die aktiviert werden müssen. Die Frage ist nur: Wie sollen diese Flächen aktiviert werden und vor allem: Wer soll es tun? Die Länder und Kommunen leiden schon jetzt unter Kapazitätsengpässen. Ziel muss es hier sein, Prozesse zu vereinfachen und zu verkürzen und auch die privaten Immobilienunternehmen ins Boot zu holen. Ohne die Privaten geht es nämlich nicht.

Ein Vorschlag lautet, alte, dekontaminierte Gewerbeflächen für den Wohnungsbau herzurichten. Aber müssten diese Flächen nicht dem Gewerbe vorenthalten bleiben? Die Industrie sucht doch auch dringend Flächen.

Gewiss braucht auch die Industrie Flächen, aber sie harmoniert heutzutage oft mit Wohnen. Industrie, das sind heute nicht mehr rauchende Schlote. Digitalisierung und technologischer Fortschritt haben den Flächenverbrauch und die Nutzungsarten der Industrie inzwischen komplett verändert. Somit ist die Standortsuche für industrielle Nutzung flexibler geworden – hier ist es möglich, ausgewogen zu bauen mit Gebieten, in denen beides möglich ist: Arbeiten und Wohnen.

Muss auch mehr Agrarland in Wohn- oder Industrieflächen umgewandelt werden?

Ich würde die Frage konkretisieren: Welches Agrarland muss umgewandelt werden? In ländlichen Regionen, die sogar an Bevölkerungsschwund leiden, ist die Umwidmung nicht notwendig. Dass Landwirtschaft aufs Land gehört, leuchtet ein. Wir haben aber nach wie vor Agrar- oder Naturschutzflächen am Rande und teils sogar mitten in den Metropolen, die aus unterschiedlichen Gründen nicht umgewandelt werden dürfen.

Wollen Sie den Naturschutz wieder verdrängen?

Nein, wir sollten uns aber fragen, ob Agrarflächen mitten in der Stadt wirklich zielführend sind. Von Zielkonflikten dieser Art gibt es viele, da kann die Politik unterstützen, zum Beispiel insbesondere beim sogenannten 30-Hektar-Ziel. Wir haben in Deutschland die Maßgabe, nicht mehr als 30 Hektar am Tag für den Bau zur Verfügung zu stellen. Früher waren 70 Hektar die Regel. Diese Reduktion erschwert den Wohnungsbau ungemein – insbesondere in Zeiten von Wohnungsknappheit.

Der Bund ist aufgrund der föderalen Struktur in der Baupolitik nur begrenzt handlungsfähig. Was müssen die Länder und Kommunen tun, um mehr Grundstücke bereitzustellen?

Die Landesbauordnungen sollten dringend harmonisiert werden. Dass Projektentwickler sich in jedem Bundesland auf neue Bedingungen einstellen muss, frisst viel zu viele Ressourcen. Ein wichtiger Schritt wäre außerdem eine bessere personelle Ausstattung der Bauämter. Die Forderung ist nicht neu, aber es ist Tatsache, dass Anträge oft viel zu lange liegen bleiben. Auch eine Optimierung der Verwaltungsstruktur ist vielerorts sinnvoll.

Wie sollte die aussehen?

Kommunen haben oft keine projektorientierte Organisation, dadurch dauern die internen Verwaltungsprozesse noch einmal länger. Wenn die Kommunen nun neben den Bau- und Baulandverfahren auch noch eine eigenständige Bodenpolitik betreiben sollen, wie das in Teilen der Politik gefordert wird, dann werden die Kommunen schlicht überfordert sein. Viel wichtiger wäre es, wenn die Kommunen mit ihrer bestehenden Kompetenz den Wohnungsbau unterstützen.

Wie genau?

Die Kommunen wissen am ehesten, wo nachverdichtet werden kann. Das sollten sie nutzen und geeignete Flächen unbürokratisch für den Wohnungsbau zur Verfügung stellen. Letztlich liegt es daran, dass Kommunen mehr Flächen ausweisen müssen und zwar gemeinsam mit Bund und Ländern, die die Kenntnisse hierfür haben. Im gemeinsamen offenen Dialog kann dann Wohnungswirtschaft das tun, was sie am wirksamsten und schnellsten kann: für neuen Wohnraum sorgen.