Luftbild einer Baustelle mit Baugrube

Neubaustau gibt es auch im Gewerbe

Über die Bevorzugung des Wohnens gegenüber dem Bauinteresse der Unternehmen

Dr. Joachim Wieland, CEO, im Gespräch
Vier Fragen von Michael Psotta, Frankfurter Allgemeine Zeitung, an Dr. Joachim Wieland.

Alle reden von Wohnungsnot, jedenfalls in den Metropolen und Universitätsstädten. Gibt es Mangelerscheinungen auch bei Gewerbeimmobilien?

Ja! Die öffentliche Debatte fokussiert sich auf den Wohnraummangel – ein reales Problem, das effektiver Lösungen bedarf. Dem Mangel an Gewerbeflächen jedoch kommt nicht annähernd die nötige Aufmerksamkeit zu. Dabei bedroht er künftiges Wirtschaftswachstum, die Neugründung von Unternehmen und die Erweiterung existierender Betriebe. Die Leerstandsquoten bei Büro, Lager und Produktion sind auf historischem Tiefstand, die Flächenreserven vor allem in den Großstädten fast aufgebraucht – und der Neubau hinkt seit Jahren dem Bedarf hinterher. Dieses Problem ist auch im Rückblick zu betrachten: Nach der Krise 2007/2008 wurde etwa Büroraum nicht mehr spekulativ gebaut. Man hätte ohnehin keine Finanzierung dafür bekommen. Einige Jahre tat sich im Bürosegment wenig. Als die Konjunktur wieder lief, wurden Neubauprojekte nur zögerlich angegangen. Meistens waren die Projekte bei Baubeginn bereits vermietet. Doch Immobilienentwicklungen sind langfristige Projekte. Der Lerneffekt: Es bedarf einer weitsichtigen und langfristigen Bauleitplanung, die Entwicklungen antizipiert, damit Flächen bei steigender Nachfrage kurzfristig verfügbar gemacht werden können.

Welche wesentlichen Gründe gibt es für den Neubaustau im gewerblichen Bereich?

Die Gründe sind vergleichbar mit dem Neubaustau beim Wohnen. Obendrein wird die Schaffung von Wohnraum gegenüber Gewerbeflächen von Politik und Verwaltung priorisiert. Aber natürlich mangelt es vor allem an kurzfristig verfügbaren Grundstücken, denn für eine Aktivierung sind komplexe, langwierige Genehmigungsprozesse erforderlich. Vielen Kommunen stehen jedoch keine ausreichenden personellen Ressourcen zur Verfügung. So sinkt in den Metropolen die Anzahl der Bebauungspläne, die zur Rechtskraft geführt, oder der Baugenehmigungen, die erteilt werden. Die Baulandausweisung am Stadtrand steht zudem im Konflikt mit dem Ziel, nicht mehr als 30 Hektar täglich zu versiegeln. Auch die grundsätzlich wichtigen Natur- und Artenschutzvorschriften können dann problematisch werden, wenn Ausgleichsflächen für bestimmte Tierarten in Stadtzentren geschaffen werden sollen. Hier stellt sich die Frage, ob es nicht sinnvoller wäre, diese Flächen im Umland zur Verfügung zu stellen.

Der Neubau hinkt seit Jahren dem Bedarf hinterher.

Wäre ein engeres Nebeneinander von Wohnen und Gewerbe hilfreich, wie es in anderen europäischen Metropolen üblich ist?

Ja. Dichte Bebauung und die räumliche Nähe von Gewerbe und Wohnen lassen sich mit hoher Lebensqualität gut verbinden. Mit dem heutigen Baurecht wäre jedoch selbst Münchens Stadtteil Schwabing nicht mehr realisierbar. Die Bestimmungen verhindern das bunte Nebeneinander von Cafés, Handwerksbetrieben, Bars, Geschäften und Wohnen, das wir vielerorts in Europa genießen. Die verhältnismäßig neue Kategorie „Urbanes Gebiet“ indes dient vor allem dem Wohnen. Gewerbe ist nur zulässig, sofern die Wohnnutzung nicht gestört wird. Ein Grund dafür ist die Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm (TA Lärm), die Verkehrslärm gegenüber Gewerbelärm begünstigt.

Ist es sinnvoll, wenn Kommunen die Entwicklung des knappen Baulandes selbst übernehmen, um den Bauprozess zu beschleunigen?

Wir sehen mit Erstaunen, dass dies immer häufiger gefordert wird. Ziel soll sein, Bauprojekte unabhängiger von den Interessen der Investoren umzusetzen. Aber woher nimmt man die Gewissheit, dass die öffentliche Hand ihre Bauvorhaben besser, schneller, kostengünstiger und marktgerechter umsetzt als private Unternehmen? Zu dieser Frage gab es immer wieder Studien, die das Gegenteil belegen, beispielsweise die der Hertie School of Governance. Es wäre hilfreicher, wenn die Politik die privaten Immobilienunternehmen nicht als Preistreiber und Spekulanten brandmarken, sondern die Probleme kooperativ angehen würde. Ohne die Privaten geht es nämlich nicht. Sie investieren in Standorte – ohne öffentliche Verschuldung oder Förderung -, sie können Projekte zügig umsetzen und erhöhen durch die Ansiedlung neuer Gewerbebetriebe die Standortqualität.

Die Fragen stellte Michael Psotta.

Quelle: F.A.Z., 14.06.2019, Immobilien (Immobilienmarkt), Seite I1
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