Eine Tafel mit der Aufschrift "New Business Opportunities" und mehreren Icons aus dem Wirtschafts- und Business-Context

Unternehmensbeteiligung statt Monatsmiete?

Portraitfoto von Hermann Simon
Gerade in Krisenzeiten zeigt sich, wie gut ein Unternehmen zuvor über Jahre hinweg gewirtschaftet hat.

Dass dabei die Gewinnmarge viel stärker im Vordergrund steht, als man annehmen könnte, erläutert Professor Dr. Dr. h. c. mult. Hermann Simon im Interview. Außerdem erklärt er, welche neuen Modelle der Zusammenarbeit es zwischen Mieter und Vermieter geben könnte.

Herr Professor Simon, wie stabil sind die deutschen Unternehmen aktuell – und woran lässt sich dies messen?

Oft richtet sich der Blick sofort auf die Liquidität. Dabei ist sie gar nicht so entscheidend für die Beständigkeit eines Unternehmens. Ich halte die Gewinnsituation und die damit verbundenen Eigenkapitalrücklagen für den wichtigeren Faktor. Gerade beim Gewinn sind jedoch die Erwartungen an die deutschen Unternehmen oftmals überzogen.

Deutschland ist bei der durchschnittlichen Nettogewinnmarge eher schwach aufgestellt

Die breite Bevölkerung – also die Verbraucher – schätzt die durchschnittliche Nettogewinnmarge auf 22,8 Prozent. Der tatsächliche Mittelwert beträgt jedoch zwischen 3,2 und 3,4 Prozent. Obwohl die Unternehmen in einigen anderen Industrieländern nochmals unter diesem Wert liegen, ist Deutschland eher gewinnschwach, denn der OECD-Durchschnitt weist eine Marge von rund 5,7 Prozent auf. Bei solchen Ergebnissen muss die Krisenfestigkeit der deutschen Wirtschaft zumindest teilweise angezweifelt werden.

Indes sieht die Situation bei den mittelständischen Hidden Champions in Deutschland anders aus. Bei den – manchmal relativ unbekannten – Weltmarktführern in ihrem jeweiligen Segment liegt die Nettomarge bei etwa acht Prozent. Gut aufgestellte Unternehmen können von Krisenszenarien sogar profitieren. Beispielsweise, indem sie kleinere Wettbewerber übernehmen oder deren Vertriebsmannschaft. Solche gewinnstarken Akteure sind übrigens auch verlässliche Mieter. Allerdings gibt es in der deutschen Gesellschaft eine Tabuisierung des Gewinns, weshalb ein Unternehmen nicht immer offen darlegt, wie profitabel es tatsächlich arbeitet.

Unternehmen trauen sich kaum zuzugeben, dass sie gewinnorientiert arbeiten

Inwiefern gibt es hier ein Tabu?

Kaum ein Unternehmen traut sich, offensiv zu sagen, dass es gewinnorientiert arbeitet. Im Gesundheitsbereich zeigt sich das besonders, obwohl ein Drittel der deutschen Krankenhäuser privat geführt ist – und die schlechtesten sind das nicht. Denn nur wer Gewinn macht, kann investieren, um auf dem modernsten Stand zu bleiben. Als Gewinn definiere ich übrigens, was am Ende tatsächlich verbleibt, nachdem das Unternehmen alle vertraglich vereinbarten Ansprüche von Mitarbeitern, Lieferanten, Banken, sonstigen Gläubigern und die des Staats befriedigt hat. EBIT, EBITDA oder Konstrukte wie ein „Core Platform Contribution Profit“ bei Uber oder etwa auch ein „Community-Adjusted EBITDA“ bei WeWork sind kein Gewinn nach betriebswirtschaftlicher Definition!

Können beispielsweise Asset-Manager oder andere dritte Parteien überhaupt einen entsprechenden Einblick erhalten?

Man sollte sich vor Neuvermietung möglichst die Bilanzen geben lassen und die Bonität des Mieters wie eine Bank bewerten. Ob man das Gleiche auch innerhalb eines laufenden Mietverhältnisses durchsetzen kann, weiß ich nicht. Das ist eine Frage der Beziehung zwischen Mieter und Vermieter. Üblicherweise erhält man ja auch nur Daten über eine bereits vergangene Berichtsperiode. Man kann die Vergangenheit nicht auf die Zukunft übertragen.

Nun wollen alle aber gerade jetzt die Zukunftschancen abschätzen …

Vielleicht gelingt dies im Dialog darüber, wo der Mieter die Stellschrauben für den unternehmerischen Erfolg sieht. Viele denken zunächst an die Kosten. Es geht langfristig aber nie darum, ob man Personal reduziert und Kollegen auf Kurzarbeit setzt oder nicht. Es geht auch nicht um die Absatzmenge des jeweiligen Produkts oder die Leistung, zumindest nicht in erster Linie. Denn steigen die Verkaufszahlen, steigen üblicherweise auch die Kosten, es sei denn, die Grenzkosten nähern sich der Null wie bei manchen Software- und digitalen Unternehmen mit Monopolstellung wie Facebook. Ansonsten wird der zusätzliche Umsatz nicht optimal in zusätzlichen Gewinn umgewandelt. Der wichtigste und effektivste Weg für mehr Gewinn ist schlicht und ergreifend die Preisbildung. Steigt der Preis um ein Prozent, erhöht sich der Gewinn üblicherweise um erstaunliche zehn Prozent.

Preispolitik sollte gut durchdacht sein – sie ist der effektivste Weg für mehr Gewinn

Und dennoch wird die Preisbildung vernachlässigt?

Der Einsatz von Ressourcen, Geisteskapazität und Zeit im Unternehmen steht oft auf dem Kopf: Da werden ewig Kostensenkungen diskutiert, da wird durchaus klug über neue Vertriebswege nachgedacht, da holt man sich großzügig Input und Impulse von außen. Entscheidungen über den Preis des eigenen Produkts fallen dagegen spontan aus dem Bauch heraus und oft in letzter Minute. Vielleicht gibt man sogar Rabatte. Die bringen in Krisenzeiten aber häufig gar nichts.

Kommen wir nochmal zum Asset-Manager zurück: Sollte die Innovationskraft bei der Mieterauswahl stärker bedacht werden?

Es entsteht derzeit ein erhöhter Wettbewerbsdruck und der Kampf um knappe Marktanteile wird schärfer. Dem kann sich ein Unternehmen tatsächlich durch Innovation entziehen. Aber mit dem allgemeinen Druck werden auch die Mittel für Forschung und Entwicklung knapper. Sie müssen also noch gezielter eingesetzt werden. Das führt zu einer stärkeren Konzentration auf wirklichen Fortschritt, auf mehr Effizienz und Zukunftsfelder wie Nachhaltigkeit. Aber wie soll der Vermieter immer wieder echte Innovation erkennen? Wenn ein Unternehmen auf dem Gebiet von Wasserstoff forscht und man selbst fachfremd ist, wird man seinen Mieter kaum bewerten können.

Und was dann?

Es empfiehlt sich eher, eine Branche insgesamt anzuschauen. Die Logistik entwickelt sich beispielsweise sehr dynamisch. Technologieunternehmen etwa für Videokonferenzen profitieren derzeit, wobei der kurz- und längerfristige Effekt unterschieden werden muss. Airlines als Gegenbeispiel haben in ihrer hundertjährigen Geschichte im Durchschnitt einen Profit von nahezu Null gehabt. Es ging ihnen also offensichtlich auch lange vor der Krise nicht allzu gut. Nehmen wir zu der allgemeinen Entwicklung einer Branche nun wieder die Gewinnlage des jeweiligen Unternehmens dazu. Dann haben wir harte Zahlen als wichtigen Faktor, da kann keiner bluffen. 

Als Immobilieneigentümer könnte man auch eigene Coworking-Modelle etablieren

War WeWork ein Bluff oder einfach eine nicht zu Ende gedachte Geschäftsidee?

Das Geschäftsmodell im CoWorking geht doch im Grunde darauf zurück, dass ein Gebäude angemietet und teurer wieder vermietet wird. Die Differenz zwischen Mietausgaben und Einnahmen liegt vielleicht bei 20 Prozent. Können damit alle Kosten gedeckt und ein Gewinn erwirtschaftet werden? Wir haben CoWorking lange als Modewelle erlebt. Es wird seinen Platz in der Immobilienwirtschaft behalten, aber nicht mehr in einer gehypten Form mit diesen absurden Börsenwerten. Ich glaube nicht, dass jeder Soloselbstständige und jedes Start-up unbedingt bei WeWork oder einem ähnlichen Anbieter mieten muss. Vielleicht ist es als Immobilieneigentümer auch manchmal besser, eigene CoWorking-Modelle zu etablieren.

Wie steht es um Start-ups als Mieter in der Krise?

Unabhängig von der Krise sind die meisten Start-ups, offen gesagt, zum Scheitern verurteilt. Nach drei Jahren sind 90 Prozent wieder verschwunden. Aus Risikosicht müsste ein Immobilieneigentümer also eigentlich sogar mehr Miete verlangen als bei etablierten Unternehmen. Denn Letztere erfüllen ihren Mietvertrag sehr viel wahrscheinlicher über die komplette Laufzeit.

Konstruierte Kennzahlen sehr viel weniger aussagekräftig als klassische Gewinnmargen.

Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Hermann Simon, Unternehmensberater und Mittelstandsforscher

Nehmen wir an, ein aussichtsreiches Start-up ist Mieter, kann aber krisenbedingt nicht zahlen …

Womöglich entwickeln sich da häufiger Mischkonzepte: Es wird die Miete erlassen, der Immobilieneigentümer erhält dafür aber eine Beteiligung am Unternehmen. Das hängt aber sicherlich vom Einzelfall und auch von den Möglichkeiten des Vermieters ab. Man hört das noch selten, aber solche Angebote gibt es schon. Ich halte das für ein grundsätzlich interessantes Modell.

Beteiligung statt Miete – auch eine Idee für etablierte Unternehmen?

Das kann für beide Seiten vorteilhaft sein. Beim Mieter entlastet das die Liquidität. Und wenn das Unternehmen irgendwann wieder floriert, kann die Beteiligung für den Immobilieneigentümer als Risikoprämie durchaus reizvoll werden. Aber eines sollte klar sein: Das verändert das Geschäftsverhältnis dramatisch. Und es geht sehr weit weg vom Kerngeschäft, also dem eigentlichen Vermieten. Aber man könnte vielleicht über eine eigene, spezialisierte Untergesellschaft agieren. Die müsste vertraut sein mit allen Beteiligungsprozessen bis hin zum Exit. Sei es, dass der Mieter seine Anteile zurückkauft oder ein Börsengang versucht wird.

Vielen Dank für das aufschlussreiche Gespräch.