Taicang West City Luftaufnahme

Hidden Champions erwarten Weltklasseleistung

Portraitfoto von Hermann Simon
Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Hermann Simon hat den Begriff der Hidden Champions bekannt gemacht.

Gemeint sind mittelständische Unternehmen, die in ihrem Bereich Standards setzen und marktführend sind. Im Gespräch mit zoOM erklärt Simon, was diese Firmen über Standorte, Immobilien und Immobilienunternehmen denken.

Wie unterscheiden sich Mittelständler (bzw. Hidden Champions) und Konzerne bei ihren Standortentscheidungen? Welche Faktoren sind für sie wichtig?

Es gibt in dieser Hinsicht fundamentale Unterschiede. Mittelständler sind in aller Regel mit ihrem angestammten Standort stark verbunden. Bei Konzernen entscheiden eher wirtschaftlich-objektive Faktoren über die Standortwahl. Das gilt selbst für neue Standorte. Bei diesen Entscheidungen beobachte ich, dass für Mittelständler zwei Faktoren eine wichtige Rolle spielen. Zum einen, ob der Standort eine gewisse Ähnlichkeit mit der gewohnten Umgebung aufweist. So ist beispielsweise der größte Standort deutscher Mittelständler in China die Stadt Taicang; mit 700.000 Einwohnern für chinesische Verhältnisse eine „kleine“ Stadt, in der sich Mittelständler wohler fühlen als in einer Megacity. Ein zweiter Faktor besteht darin, ob es an dem neuen Standort ähnliche Firmen gibt. Ähnlichkeit kann sich dabei auf die Branche beziehen.

Gibt es in der Gegend Kompetenzen, Zulieferer, Bildungsinstitutionen etc., die für das Unternehmen relevant sind? Im internationalen Kontext schließt Ähnlichkeit die Nationalität ein. In vielen Ländern lassen sich deutsche Mittelständler gerne an Orten nieder, an denen bereits andere deutsche Mittelständler sind. In China trifft dies für zahlreiche Städte zu. Taicang ist der prominenteste Fall, aber auch Qingdao, Jieyang und andere Städte werben mit einem deutschfreundlichen und deutschaffinen Umfeld (Kultur, Schulen, Oktoberfest etc.). Großunternehmen wie etwa Volkswagen gehen hingegen eher an große Standorte und richten sich dabei nach ökonomischen Kriterien, beispielsweise Marktzugang, und weniger nach persönlichen Präferenzen aus.

Taicang – ein Ort, der den deutschen Mittelstand magisch anzieht

Wie können Immobilienunternehmen speziell die sogenannten Hidden Champions unterstützen?

Die Hidden Champions sind Weltklasseunternehmen. Sie erwarten von einem Immobilienunternehmen ebenfalls Weltklasseleistung, genauso wie von ihren übrigen Zulieferern von Produkten und Dienstleistungen. Das bedeutet, dass der Immobiliendienstleister nicht mit einem vorgefertigten Konzept antritt, sondern zunächst die Unternehmenskultur des Klienten versteht. Denn die Hidden Champions haben ausgesprochen eigenwillige Unternehmenskulturen, zu denen die Immobilien passen müssen. Es gibt Firmen, die extremen Wert auf Kosteneffizienz legen und ihre Facilities insofern ausschließlich nach funktionalen Kriterien gestalten. Andere bieten ihren Mitarbeitern Ausstattungen, die man fast als luxuriös bezeichnen kann.

Einige der ungewöhnlichsten Büros und Produktionshallen habe ich bei Hidden Champions, nicht bei Großunternehmen gesehen.

Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Hermann Simon, Unternehmensberater und Mittelstandsforscher

Die Beziehung zum Chef, der in der Regel auch der Eigentümer ist, spielt bei Mittelständlern eine entscheidende Rolle. Diese Chefs sind komplexe Charaktere, die oft auch bezüglich der Immobilien sehr eigenwillige Vorstellungen haben. Ich darf als Beispiel Reinhold Würth, Eigentümer des gleichnamigen Weltmarktführers für Montageprodukte, nennen. Er ist nicht nur ein großer Kunstsammler, sondern hat auch bei seinen Gebäuden ein hohes Anspruchsniveau. Nicht wenige Hidden Champions engagieren sogar Stararchitekten.

Welche Bedeutung messen Sie dem Unternehmensstandort beziehungsweise der Immobilienstrategie mittelständischer Firmen am wirtschaftlichen Gesamterfolg bei?

In diesem Zusammenhang gibt es zwei bedeutende Aspekte. Der Standort ist typischerweise Bestandteil der Identität. Mittelständler sitzen weniger in Großstädten, sondern überwiegend in kleinen Städten und Dörfern. Oft sind sie dort der größte Arbeitgeber. Das bedeutet, dass die Mitarbeiter kaum Arbeitsplatzalternativen haben. Aber genauso ist der Arbeitgeber von den Mitarbeitern abhängig. Denn auch für ihn gibt es, anders als in der Großstadt, keine Alternativen. Er muss mit den Leuten zurechtkommen, die vor Ort oder in der Umgebung wohnen. Das schafft eine gegenseitige Abhängigkeit, die einerseits zu niedrigen Fluktuationsraten, andererseits zu hoher Loyalität des Arbeitgebers führt. Dieser vermeidet mit allen Mitteln, Leute entlassen zu müssen.

Die Immobilien sind Symbol und Ausdruck der Unternehmenskultur. Und sie gewinnen ständig an Bedeutung, das gilt für große wie für kleine Städte gleichermaßen. Eine herausragende Ursache liegt im Talentemangel. Mich hat selbst im eigenen Unternehmen Simon-Kucher & Partners überrascht, wie stark diese Bedeutung ist. Wir betreiben 39 Büros in 25 Ländern und sind Weltmarktführer in der Preisberatung. Mitarbeiter und Bewerber legen großen Wert auf eine angenehme Arbeitsumgebung. In einigen Städten haben wir festgestellt, dass die Annahme von Jobangeboten signifikant anstieg und die Fluktuationsrate signifikant sank, nachdem wir ein besseres Büro bezogen hatten.

Wie bewerten Sie die hohe Eigentumsquote hierzulande – also, dass deutsche Unternehmen die von ihnen genutzten Immobilien im internationalen Vergleich ungewöhnlich oft im eigenen Bestand halten?

Ich erwarte, dass sich das ändern wird. Natürlich herrscht bei vielen Mittelständlern noch die traditionelle Einstellung vor, dass man seine Immobilien im Eigentum halten muss. Aber es gibt mehrere Gründe, warum diese Einstellung abnimmt. Deren wichtigster ist die Besinnung auf das Kerngeschäft. Eine eigene Erfahrung dazu: Wir waren vor 20 Jahren sehr nahe dran, eine Villa in Bonn direkt am Rhein für unseren Hauptsitz zu kaufen. Dann haben wir nochmal nachgedacht und uns gefragt: „In welchem Geschäft sind wir eigentlich?“ Die Antwort hieß „Beratung“ und nicht „Immobilien“. Wir fällten dann die Grundsatzentscheidung, niemals eine Immobilie zu besitzen, sondern uns voll auf unser Kerngeschäft zu konzentrieren. Ich bin heute sehr froh, dass wir so entschieden haben. Ein weiterer Grund liegt natürlich im Wachstum. Dieses Thema ist für Start-ups und sogenannte Scale-ups von größter Bedeutung. In einem wachsenden Unternehmen muss die Immobilie mitwachsen. Das ist mit Miete sehr viel leichter darstellbar als mit Eigentum. Ich kenne viele Mittelständler, die sich damit herumquälen, dass sie mit ihren Eigentumsimmobilien und -flächen nicht problemlos wachsen können.

Stichwort Industrie 4.0: Inwiefern erwarten Sie einen branchenübergreifenden Strukturwandel im deutschen Mittelstand – und welche wechselnden Anforderungen an Immobilien gehen damit einher?

Das ist eine sehr komplexe Frage, auf die heute niemand sichere Antworten hat. Industrie 4.0 und Digitalisierung werden zum Wegfall zahlreicher Arbeitsplätze führen und damit bestehende Gebäude überflüssig beziehungsweise unterausgelastet machen. Das gilt für Industrie (Roboter, Automatisierung) und Dienstleistungen (z. B. Banken) gleichermaßen. Vielleicht sind die Rationalisierungspotenziale bei Dienstleistungen sogar größer, da die Industrie in der Automatisierung wesentlich weiter fortgeschritten ist. Es entstehen aber auch viele neue Arbeitsplätze, über die wir keine konkreten Vorstellungen haben. Sogenannte Shared Spaces, wie sie WeWork (neuer Name: The We Company) anbietet, werden einen wesentlichen Marktanteil erreichen. Selbst für industrielle Arbeitsplätze gewinnen mit dem Vordringen des 3D-Drucks solche Konzepte an Bedeutung. Die Produktion wird durch 3D-Druck dezentralisiert, wir werden mehr kleine Einheiten sehen.

Insgesamt entsteht durch die neuen Technologien bei Immobilien eine größere Dynamik. Kürzlich hat eine große Bank einen Zehnjahresmietvertrag für eine Filiale in einer Mittelstadt abgeschlossen. Den Vermieter hat das sehr gefreut, mich hat es sehr erstaunt. Wissen die Verantwortlichen der Bank, ob sie an dieser Stelle in den nächsten zehn Jahren eine Filiale brauchen? Ich weiß das nicht. Ich weiß nur, dass wir bei Immobilien im nächsten Jahrzehnt eine weit höhere Fluktuation erleben werden als in der Vergangenheit. Das bedeutet Risiko und Chance. Wer die sich ändernden Bedürfnisse der Kunden versteht, wird auch bei Immobilien gewinnen.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Prof. Simon.